Der Mörder von Frillendorf


Die Nünningstraße in Frillendorf hat ihren Namen von dem ehemaligen Bauernhof Nünning, der viele Jahrhunderte lang zu den angesehensten Gütern auf Essener Gebiet gehörte. Wer aber kennt noch die Geschichte der furchtbaren Mordtat, die hier einstmals geschah?
Es war an einem Sonntagmorgen im Jahre 1795. Alle Familienmitglieder und Bediensteten des Nünning'schen Hofes hatten sich auf den Weg zum Gottesdienst gemacht. Nur die Schwiegermutter des Bauern war zurückgeblieben, um seine beiden Kinder zu hüten, die noch zu klein für den Kirchgang waren. Es war ein schöner Frühlingstag. Die Kinder durften im Garten spielen und vergnügten sich lärmend unter den Apfelbäumen, während die Großmutter mit der Vorbereitung des Mittagsmahls beschäftigt war. Plötzlich hielten die Kinder verschreckt inne: Aus dem Hause hörten sie laute Worte. Zwischen die schrillen Rufe der Großmutter tönte das laute Gebrüll einer männlichen Stimme. Immer lauter wurde es und dann - ein gräßlicher Schrei - ein dumpfes Fallen.
Sekunden später wurde die Hoftür aufgerissen, und heraus stürzte ein Mann, keuchend und irren Blickes. Schnell versteckten sich die Kleinen im nahen Gebüsch und sahen den Mann über die Wiese davonlaufen.
Als die Kirchgänger zurückkehrten, fanden sie des Bauern Schwiegermutter erschlagen in der Küche liegen. Niemand konnte sich die Tat erklären. Auch von den zitternden Kindern waren keine Auskünfte zu erhalten; diese hatten den Mörder zwar gesehen, kannten ihn aber nicht und konnten ihn kaum beschreiben.
Wochen gingen ins Land, ohne daß man den Täter hätte ausfindig machen können. Doch dann fanden spielende Kinder in einem nahe bei Nünnings Hof vorbeifließenden Bach einen Dengelhammer. Solche Hämmer wurden zur Erntezeit benutzt und dienten dazu, Sensen und Sicheln zu schärfen. Man vermutete, daß der Mörder diesen Hammer zur Ausführung seiner Tat benutzt hatte und ihn während der Flucht in den Bach geworfen hatte. Es fand sich allerdings niemand, der als Eigentümer des Hammers in Betracht gekommen wäre, und so blieb der Täter auch weiterhin im Dunkeln. Der Dengelhammer wurde dem Stiftsrichter in der abteilichen Kanzlei zu Essen übergeben. Wieder vergingen mehrere Wochen, als eines Tages der Bauer des Schultenhofes zu Karnap auf der Kanzlei erschien, um dort einige Hofangelegenheiten zu regeln. Nachdem er dies getan hatte und das Gebäude schon verlassen wollte, fiel sein Blick zufällig auf eine Schachtel, in der der Dengelhammer verwahrt wurde. Wie erstaunt war der Bauer, als er diesen an einer Kerbe im Stiel als sein Eigentum wiedererkannte. Eilends begab er sich zum Stiftsrichter und berichtete von seiner Entdeckung. Er konnte sich den Sachverhalt nur so erklären, daß der Hammer während der Erntearbeiten des vergangenen Jahres von einem Tagelöhner mitgenommen worden sei.
Nachdem nun die Herkunft des Hammers geklärt war, faßte man einen Plan, um vielleicht doch noch den Mörder ergreifen zu können:
Als es wieder Herbst geworden war und die Ernte auf dem Karnaper Schultenhof eingebracht werden mußte, fanden sich wieder dieselben Tagelöhner ein, die auch schon im vorhergehenden Jahre an der Arbeit teilgenommen hatten. Als der Stiftsrichter dies erfuhr, sah er sich in der Hoffnung bestätigt, daß der Dieb des Hammers - und also auch der Mörder - unter den Erntearbeitern zu finden sei. Nach getaner Arbeit, als alle in der großen Küche des Schultenhofes zum gemeinsamen Mahle zusammengekommen waren, sah der Richter die günstige Gelegenheit für gekommen. Plötzlich und unerwartet wurden die beiden Kinder des Bauern Nünning in den Raum geführt. Verwirrt sahen sie sich der großen Versammlung gegenüber. Als der Richter sie nun fragte, ob sie unter den Anwesenden denjenigen wiedererkennen würden, der im Frühling im Garten an ihnen vorbeigelaufen war, da faßten sich die Kinder ein Herz und schauten jedem der Männer eindringlich ins Gesicht. Dann aber stießen sie einander an und deuteten übereinstimmend auf den Tagelöhner Henrich Schocke, auch „Schockenhenrich" genannt. Dies sei der Mann, den sie damals gesehen hätten.
Nachdem dies geschehen war, erhob sich ein ungläubiges Raunen in der Gesellschaft. Schockenhenrich sollte ein Mörder sein? Seit vielen Jahren war Schockenhenrich als fleißiger und freundlicher Tagelöhner bekannt, der aufeinem Kotten am Deimelsberg wohnte und seinen Lebensunterhalt davon bestritt, daß er zeitweilig von Hof zu Hof zog, um dort beim Ernten, Roden oder Schlachten zu helfen. Immer war er gerne gesehen gewesen, nicht nur wegen seiner guten Arbeit, sondern auch wegen seines freundlichen Wesens. Besonders seine Kinderliebe war allseits bekannt.
Niemand hätte Schockenhenrich also eine solch feige Mordtat zugetraut, und so war es nur verständlich, daß man nur ungläubiges Kopfschütteln sah, als die Nünningkinder ihn als Täter erkannt haben wollten. Sollten sich die Kinder vielleicht irren? Sie waren ja noch so klein. Was, wenn ihnen eine schlimme Verwechslung unterlaufen wäre?
Alle starten nun erwartungsvoll auf Schockenhenrich. Was würde er auf diese Anschuldigung sagen? Sicher würde er empört jede Schuld von sich weisen! Aber nein, schuldbewußt senkte dieser die Augen. Fast erleichtert, wie von einer schweren Last befreit, gab er die Tat zu. In die atemlose Stille der Gesellschaft sprach er mit leiser Stimme von seinem Streit, den er mit Nünnings Schwiegermutter gehabt habe, und wie er sich im Zorn dazu habe hinreißen lassen, mit dem Hammer zuzuschlagen.
Noch im selben Herbst wurde Schockenhenrich auf dem Essener Marktplatz vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Bald darauf führte man ihn gefesselt durchs Steeler Tor nach Huttrop. Dort, am Galgen auf dem Schwanenbusch, wurde dann das Urteil vollstreckt. Es soll sich um die letzte Hinrichtung auf der alten Richtstätte am Schwanenbusch gehandelt haben.
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